Seit meinem Studium in Rostock habe ich viel Freude an der Entwicklung und Anwendung von numerischen Berechnungsmethoden gehabt. Damals, Anfang der 80er Jahre, als Computer noch „Rechner“ hießen, war es manchmal abenteuerlich, wie wir Berechnungsmodelle erstellt haben. Nicht nur, weil unsere Rechentechnik ein paar Jahre hinterher war, sondern auch, weil viele Hilfsmittel noch nicht entwickelt waren. Trotzdem hatten wir schon damals die Vorstellung, einmal Produkte am Computerbildschirm zu entwerfen und auch rechnerisch zu testen.
Die FEM-Methode
Diese Vision wurde mit der computergestützten Anwendung der Finiten Elemente Methode (FEM) Realität. Die FEM ist heute die am weitesten verbreitete Methode für 3D Berechnungen. Dabei wird ein Modell erzeugt, bei dem die Geometrie des zu untersuchenden Objektes in kleine, genormte Elemente zerlegt wird: Tetraeder, Hexaeder oder Prismen. Für Bleche und ähnliche flache Bauteile können auch Drei- und Vierecke genommen werden. Das Modell sieht dann aus wie ein Gitter oder Netz. Man spricht auch vom Vernetzen. Dann werden den Bauteilen Materialien zugewiesen und es werden Lasten auf die Struktur aufgebracht. Es entsteht eine Textdatei, die mehr oder weniger lang von einem Computer verarbeitet wird, um schlussendlich Aufschlüsse über die Tragfähigkeit oder Lebensdauer der Struktur geben zu können.
In Rostock gab es durch den Schiffbau schon sehr früh viele FEM Anwender, von denen ich gern gelernt habe. Ich habe damals daran gearbeitet, Optimierungsalgorithmen mit der FEM zu verknüpfen, um Konstruktionen zu verbessern.
Seitdem gab es viele Weiterentwicklungen bei der Berechnung mit 3D Modellen. Computer werden immer leistungsfähiger, die Geometrie wird elektronisch in 3D erzeugt, Vernetzungsalgorithmen sind im Wesentlichen automatisch, Berechnungsalgorithmen werden effektiver. Insgesamt hat sich diese Art der Berechnung von einer Geheimwaffe einiger Experten zu einem weit verbreiteten Werkzeug der Produktentwicklung gemausert. Allgemein wurden mehr und mehr physikalische Experimente durch die Berechnung abgelöst. Heute gibt die Berechnungssoftware sogar optimale Strukturen vor – aber dazu ein andermal mehr.
Immer noch ist es notwendig, die gegebene Geometrie zu vereinfachen, um die beschriebenen Elemente – und wir reden hier heute von zig Millionen solcher Elemente – zu platzieren. In der Regel ist das teilautomatisiert, aber trotzdem arbeitsintensiv und fehleranfällig.
Bahnbrechende neue Software von Altair
Aufgrund der großen Fortschritte in diesem Bereich ist es schon sehr selten, dass eine völlig neue Software mit neuen Möglichkeiten die FEM-Welt revolutioniert. So geschehen mit Altair SimSolid, eine bahnbrechende neue Software zur konstruktionsnahen Berechnung. Sie wurde Jahr 2018 von Altair akquiriert. Die Software verspricht, für eine mittels computergestützter Konstruktionssoftware (CAD) entwickelte Konstruktion die mechanischen Eigenschaften ohne großen Modellierungsaufwand schnell abschätzen zu können. Klingt fantastisch?
Bei der Technik von SimSolid erübrigt sich der FEM-Vernetzungsschritt. Ja, nicht einmal eine Vereinfachung der Geometrie muss vorgenommen werden. Der Berechnungsingenieur oder auch die Konstrukteurin kann einfach eine Geometrie aus einem der unterstützten CAD Systeme in die Software laden. Sie bestimmt die Materialien und Lasten und lässt die Berechnung ablaufen. Die implementierte Methode ist – verglichen mit einer traditionellen FEM – höchst effizient.
Nehmen wir zum Beispiel ein komplexes System wie ein Flugzeugtriebwerk. Die Konstrukteurin ist an einer schellen Abschätzung der Steifigkeit oder des Schwingungsverhaltens interessiert und möchte in kurzen Schritten Konstruktionsänderungen ausprobieren. Für die traditionelle FEM Modellierung können schon gut Wochen vergehen, bevor hier ein fehlerfreies Modell vorhanden ist. Ein Triebwerk hat hunderte Teile, die selektiert und simplifiziert werden müssen, um ein FEM-Netz zu erzeugen. Da kann von einer schnellen Abschätzung keine Rede sein. Entscheidungen werden verzögert oder sind teilweise unfundiert. Nicht in SimSolid, wo die gesamte Geometrie ohne Modifikation gelesen werden kann. Quasi auf Knopfdruck bekommt der Konstrukteur eine Antwort. Okay, es kann schon mal Minuten dauern.
Die zugrundeliegende Berechnungsmethode wurde von Victor Apanovitch Anfang der 90er Jahre entwickelt. Sie geht auf die ursprünglichen Methoden von Walter Ritz (1908) und Boris Galerkin (1915) zurück. Dr. Apanovitch ist heute der Chefentwickler von SimSolid.
Wie alle numerischen Methoden ist auch diese ein Näherungsverfahren. In einer adaptiven Prozedur wird die Ergebnisgenauigkeit in mehreren Durchläufen verbessert. Auch das ist ein Riesenschritt verglichen mit der Standard-FEM, wo Netzadaption recht umständlich ist und daher selten angewendet wird. SimSolid löst nicht nur einfache lineare Probleme. Auch nichtlineare Phänomene wie Kontakt und plastisches Materialverhalten können modelliert werden. Verbindungstechniken wie vorgespannte Schrauben, Schweißnähte und -punkte werden sehr detailgetreu und effektiv berücksichtigt. Komplexe Zusammenbauten können in einem Schritt berechnet werden. In Sachen Genauigkeit steht SimSolid komplexeren Methoden keineswegs nach. Adaptivität und lokales Zoomen erlauben ein Einstellen der Ergebnisgenauigkeit.
SimSolid wird die konstruktionsnahe Berechnung verändern, ja revolutionieren. Die Software beseitigt Barrieren bei der rechnerischen Beurteilung von Konstruktionsentscheidungen. Man kann eben mal schnell eine Berechnung durchziehen, wenn man nicht sicher ist, ob eine Modifikation auch den gewünschten Effekt bringt. So können schnell Varianten getestet und verglichen werden.

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